Sandra

Es ist Freitagabend und eigentlich sollte ich sehr entspannt sein. Müde und kaputt vielleicht, aber entspannt. In voller Vorfreude auf das Wochenende. Stattdessen mache ich mir jetzt schon wieder Gedanken über den mir bevorstehende Samstag, an dem meine Schwiegereltern hier mit ihrem durch und durch strengen Auge für die Imperfektion antreten werden. Immerhin sind die Kinder heute Abend beide bei Freunden zum Übernachten eingeladen, da bleibt mir ja noch eine gute Gelegenheit, mal mit meinem Mann zu reden. Ich werde ihn gleich mal fragen, ob wir eine Runde hinten über die Felder spazieren sollen, das haben wir schon länger nicht mehr gemacht.

Es ist fast Wochenende, und ich kann mich nicht einmal darauf freuen. Nein, Samstag fängt der Stress ja erst richtig an dieses Mal! Das Wochenende sollte doch zur Entspannung da sein, oder nicht? Ist das nicht ursprünglich so gedacht? Zu allem Überfluss schneite Herr Winter heute ins Büro, um mich aufzufordern, an einer Mitarbeiterbefragung teilzunehmen! Eine Mitarbeiterbefragung! Können Sie sich ungefähr vorstellen, wie solch eine Mitarbeiterbefragung abläuft? In den Fragen für die Mitarbeiterbefragung heißt es dann sowas wie: Wie zufrieden sind Sie denn zur Zeit in ihrem Job? Was könnte besser werden? Und natürlich ist die Auswertung der Mitarbeiterbefragung angeblich ganz anonym. Na gut, eigentlich ist eine solche Mitarbeiterbefragung ja auch keine schlechte Sache. Nur in unserem Büro ist das etwas anderes; da wird einem dann, wenn man Kritik in der Mitarbeiterbefragung übt, monatelang nachgehalten, man sei ja so pingelig! Das ist wohl nicht Sinn und Zweck der Sache, oder etwa doch? Soll die Mitarbeiterbefragung nicht die Mitarbeiter zufriedener machen, anstatt sie der sozialen Ausgrenzung auszusetzen? Ich sollte einmal ernsthaft über einen Jobwechsel nachdenken. Die Arbeit macht mir ja im Großen und Ganzen Spaß, aber dieses Druck durch die Kollegen halte ich langsam wirklich nicht mehr aus. Das sind Zustände!

Heute kommt doch tatsächlich mein Mann zu mir, dass ich am Wochenende wohl etwas Platz für seine Eltern freiräumen müsse. Als hätte ich nicht genug zu tun zurzeit, nein! Da müssen auch noch meine Schwiegereltern kommen, mit denen ich seit Jahr und Tag nicht besonders gut auskomme, und wahrscheinlich dumme Kommentare über das Menü abgeben, für das ich bestimmt geschätzte drei Stunden in der Küche verbracht habe zuvor. Und der Garten, wie sieht denn euer Rasen aus? Und seid ihr denn sicher, dass die Kinder immer selber ihr Kinderzimmer aufräumen sollten? Man sieht ja wohl, wohin das führt! … Ich sehe es schon lebhaft vor mir! Als ich meinem Mann dann fragte, ob das denn ausgerechnet dieses eine Wochenende sein müsse, nachdem wir so viele Wochenenden nur im Haus meiner verstorbenen Großtante verbracht haben, sagt er doch glatt: Meine Familie ist schließlich auch mal dran! Ja, kann man das denn fassen?

Ach Mensch, zur Zeit weiß ich überhaupt gar nicht, wo mir der Kopf steht. Alles häuft sich an; auf der Arbeit und dazu auch noch im Privaten! Zwar sind die einzelnen Aufgaben ja eigentlich gar nicht besonders groß oder zeitaufwendig, aber das summiert sich immer zu einem riesigen Klumpen, was man vorher nicht absehen kann und dann kaum noch übersieht, sobald er erst einmal vor einem lagert. Die Dokumente in meiner Ablage stapeln sich – und das ist wirklich kaum übertrieben – einen halben Meter hoch, und jeden Tag kommt so viel Neues hinzu, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll! Wenn ich die neuen Aufgaben zuerst erledige, weil die Mitarbeiter in mein Büro kommen und so viel Druck machen, habe ich ein schlechtes Gewissen wegen der alten Aufgaben, und andersherum bekomme ich sofort Beschwerden, wenn ich auf eine gewisse Bearbeitungszeit hinweise…